Briefbomben in Rumänien


(© Bild: Ana Maria Ivan)


Anfang Juni 1995 wurden 7 Brief- und Buchbomben von Graz, Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck nach Rumänien verschickt. Empfänger waren Marko Bela, Präsident der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien, Philippi Paul, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Gheorghe Nicolae, einer der Führer der Roma und Sinti in Rumänien und Bischof Laszlo Tökesz, Symbolfigur der Revolution des Jahres 1989 in Rumänien. Die Sendung an das Siebenbürgische Journal "Erdely Naplo" wurde in der rumänischen Stadt Satu Mare gestempelt. Franz Fuchs besaß aber seit 1992 keinen gültigen Reisepaß und hätte also nicht nach Rumänien reisen können.


Einige Sprengsätze befanden sich in dem rumänischen Buch: "Sapte Ani Apocaliptici - Dezvaluirile Contelui Inccapucciato" (Autor: Ion Tugui, erschienen 1992, im Verlag Gnosis, Cartea Romaneasca, ISBN 973-23-0415-4), auf Seite 25.
Leseprobe (Übersetzung) aus dem Kapitel "Die Welt während der sieben apokaliptischen Jahre", Seite 231: "Österreich war poltisch und wirtschaftlich bisher sehr stabil. Beginnend mit 1993 jedoch wird sich die Lage in Österreich verschlechtern [...]. Es ist durchaus möglich, dass Österreich in absehbarer Zukunft von der europäischen Landkarte verschwindet". Diese Prophezeiungen werden von der Hauptfigur des (futuristischen) Romans ausgeführt: Graf Incapucciato.
Für die USA sind beginnend mit 1999 besondere Terrorakte angesagt, nämlich "Superterrorangriffe" (Seite 224).

Weitere Sprengsätze wurden in den Büchern "L'École des Femmes" (Molière) und "Les Faux-Monnayeurs" (Gide) versendet, beide im NATHAN-Verlag erschienen.

Die Drähte waren in den rumänischen Nationalfarben (blau-gelb-rot) gehalten.

Die Interpolstelle in Bukarest benachrichtigte das österreichische Innenministerium am 9.6.1995: "..dass vor einigen Tagen [...] Paketbomben an die Adresse einiger Prominenter gesendet wurden. Sie wurden aus Ihrem Land abgeschickt, eine davon aus Graz [...]".

Am 20.6.1995 ersuchte das österreichische Innenministerium um weitere Details von der Interpolstelle in Bukarest. Die Antwort kam prompt am 21.6.1995: genaue Beschreibung aller Sendungen (Größe, Inhalt, komplette Fotodokumentation - alle Details liegen mir vor). Die Analyse des österreichischen Innenministeriums ergab, dass bei allen Sendungen eine rumänische Schreibmaschine verwendet wurde. Das Fehlen der Umlautzeichen wurde als Hauptargument für die Unterlassung weiterer Ermittlungen verwendet. "Von offizieller rumänischen Seite wurden dann keinen weiteren Erkenntnisse mehr mitgeteilt, auch nicht über die weiteren Buchbombenattrappen, die in Rumänien zur Post gegeben wurden [...] Die Adressaten auf den 4 Buchbombenattrappen von Rumänien sind mit einer Schrifttype verfaßt, wie sie der nationalen rumänischen Schrifttypentabelle zugrunde liegen. [...] Jede weiteren kriminaltechnischen Vergleiche mit den Schrifttypen der BBA-Briefe können daher unterbleiben [...] Letztlich scheint das Motiv der BBA-Briefbombenserie ein völlig anderes zu sein als das bei den Buchbombenattrappen von Rumänien", so der knappe dreiseitige Endbericht des Innenministeriums. Unterzeichner dieses Berichtes ist Chefinspektor J. A., derselbe der den Bericht über das BBA-Schreiben an die Zeitschrift "Simplicissimus" (versendet nach der Verhaftung von Franz Fuchs) verfasste.

Dabei wurde aber übersehen, dass die Empfängeradresse auf der Briefbombensendung an Arabella Kiesbauer (Aufgabedatum: 07.06 1995) auch ohne Umlautzeichen geschrieben wurde:

"Arabella Kiesbauer (PERSOENLICH)
Postfach 1310
D-85767 Unterfoehring"


Mag. Michael Sika, damaliger Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, erklärte dezidiert, die rumänischen Attentate hätten mit den österreichischen Briefbombenanschlägen nichts zu tun gehabt: "Die rumänischen Behörden haben jede Kooperation mit uns abgelehnt. Das beweist deutlich, daß sie eine andere Spur verfolgen und kein Konnex zu Franz Fuchs besteht".
Von einer Ablehnung der Kooperation ist im o.a . Bericht nicht die Rede. Vielmehr zeigt die Darstellung des Chefinspektors A., dass die Benachrichtigung von der Interpolstelle in Bukarest, sowie die Beantwortung aller Ersuchen aus Österreich prompt erfolgt sind.
Also: eine mehr als dürftige Argumentation, aus meiner Sicht.

In einem ORF-Studiogespräch mit Mag. Michael Sika am 16. Juni 1995 fragt Robert Hochner:
"Es hat Meldungen über Briefe- oder besser gesagt Buchbomben gegeben, die an Vertreter der Minderheiten in Rumänien geschickt worden sind. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen Bomben [...] und den Briefbomben die wir in Österreich bzw. Deutschland erleben?"
Mag. Sika antwortet: "Nein. Wir sehen keinen Zusammenhang. Wir glauben, dass es sich hier um ein rumänisches Problem handelt, das auf diese Weise abgehandelt wird".

Tatsächlich. Ein rumänisches Problem das Österreich (nach wie vor) betrifft. Und welches vom österreichischen Staatsgebiet aus abgehandelt wurde. Tatort: Österreich.

Professor Reinhart Olt schrieb am 16.06.1995 in der FAZ: "Die letzte (Anm.: Briefbombe nach Rumänien) ging beim ungarischen "Siebenbürgischen Journal" ein. Eine Wiener Anwältin, die sich seit Jahren für die ungarische Minderheit einsetzt, ist nach eigener Aussage vor geraumer Zeit anonym bedroht worden (Anm.: gute Bekannte des Bischofs Laszlo Tökes, sie selbst hat keine Briefbombe erhalten). In diesem Zusammenhang war auch der Verdacht geäußert worden, neu-alte Mitglieder der Geheimpolizei, sogenannte Securisten, könnten zwiefach die Hand im Spiel haben, zumal auch dort Eiferer den "historischen" Versuch unternehmen, die Reinheit der Nation durch Rückgriffe auf frühgeschichtliche Anleihen beim dhakischen "Urstamm" zu untermauern."

Wie die Zeitschrift "Format" am 22.2.1999 (Ausgabe 8/99) richtig berichtet, "Wien war stets eine wichtige Basis des Ceausescu-Geheimdienstes im westlichen Ausland. Im Jahr 1988 startete beispielsweise eine vermutlich aus dem Dunstkreis der Securitate stammende Vereinigung namens Söhne des Avram Iancu, eine Drohbriefaktion gegen rumänische Exilanten in Deutschland. Auch diese Schreiben wurden in Österreich abgeschickt".

Der im Oktober 2009 verstorbene ex-Chef der DIE (rumänische Auslandsspionage) Plesita sagte 1989 aus, dass der Terrorist Carlos über Vermittlung Arafats die Aufträge der Diktator-Familie Elena und Nicolae Ceausescu ausführte, kurz nach der Flucht Pacepas in die USA.

Ein Augenzeuge aus dem damaligen Staatsapparat (Militärstaatsanwalt) berichtet: "Ceausescu wollte keinesfalls direkten Kontakt zu Carlos, darum kümmerte sich die Securitate. Carlos wurde unter Schutz der rumänischen Antiterrorabteilung mit 150 Km/Std. durch Bukarest eskortiert, mit Sirene, Blaulicht und gezogenen Waffen".

Carlos hat einige Anschläge im Auftrag Ceausescus durchgeführt: Anfang Februar 1981 haben Paul Goma, Serban Orascu und Nicolae Penescu (Radio Free Europe in München) Buchbomben per Post erhalten. Diese waren scharf und sollten beim Aufmachen des Pakets explodieren.
Die Vorbereitungen liefen bereits im Jahr 1980 - hierfür wurden mehrere Quellen (Schläfer aus Deutschland und Österreich) aktiviert:


Die Abteilung für Staatssicherheit aus dem rumänischen Innenministerium berichtete im August 1980 u.a. wie folgt über Noël Bernard (Free Europe / Europa Libera - er wurde von der Securitate DER SCHAKAL genannt) :

"Der SCHAKAL koordiniert, in seiner Funktion als Redaktionsverantwortlicher für Rumänien, feindliche Propagandasendungen, wo mehrere jüdische Mitarbeiter tätig sind.
[...] DER SCHAKAL war in letzter Zeit sehr aktiv, er hat mehrere rufschädigende Angriffe gegen die Sozialitische Republik Rumänien geführt. Da die Gefahr seiner Unternehmungen mit der Zeit steigt, sind dringende Massnahmen notwendig: 1. Der Schakal muss kompromitiert und aus der Redaktion der "Europa Libera" entfernt werden. 2. Die Analyse der Beziehungen zwischen dem SCHAKAL und Emil Georgescu und anderen rumänischen und jüdischen Redaktionsmitarbeitern, zwecks Neutralisieerung und Entfernung. 3. Sondermassnahmen für die Ausschaltung der "Europa Libera", durch die Zerstörung der Redaktionsräume, der benutzten Autos, der Wohnungen der aktiven Mitarbeiter, sowie durch Körperverletzung.
Massnahmen:
(I) Die Aktivierung der Quelle MARTIN aus Deutschland [...]: Termin: 30.10.1980.
(II) Die Aktivierung der Quelle KRAUS aus Deutschland - Journalist und gut befreundet mit dem Schakal.
(III) Die Aktiveirung der Quele HARALD aus Österreich, Jude und Emil Geoergescu nahe stehend. Die Quelle soll den SCHAKAL davon überzeugen, dass Emil Georgescu ein Verräter sei. Termin: 30.10.1980.
Die Reaktivierung der Quelle LEUL (Anm.: der Löwe) aus Deutschland [...]"


(© Bild: Ana Maria Ivan)


Victor Magureanu, ex-SRI Direktor, bestätigte im Dezember 1989: „wir wissen, ... dass dieser Terrorakt im Auftrag der Bukarester Regierung von Carlos durchgeführt wurde".Am 22.Dezember 1993 wurde Hofrat Gustav Hochenbichler, hochrangiger Beamter der österreichischen Staatspolizei als Spion überführt: "Die Staatsschutzabteilung der Bundespolizeidirektion Wien (war) somit jahrelang eine Filiale der DDR-Stasi" (Erwin Kemper "Verrat an Österreich", Wien, 1996. Der Autor ermittelte im Fall Hochenbichler).

Die Bombenattentate des Jahres 1995 in Richtung Rumänien wurden aus den Ermittlungserkenntnissen im Gerichtsakt ausgeklammert und auch nicht gesondert zur Anzeige gebracht, obwohl sie mitten in der Anschlagsserie stattfanden. Obwohl festgehalten wurde, dass bei den BBA-Bomben Bauteile aus den ehemaligen Ostblockländern verwendet wurden. Auch die ersten Kuverts mit Bekennerschreiben sollten aus diesem Gebiet stammen. Ein weiterer Bezug zu Rumänien ist die Erwähnung eines rumänischen Namens in einem der Bekennerbriefe.
Vor allem aber, meint die Autorin dieser Homepage, dass der ursprünglich verschollene "Sika-Brief" das Stück ist, wo der Autor am meisten Preis von sich gibt. Herr Mag. Sika sagte, nicht gewusst zu haben, wo der Brief seinerzeit unterging. Das wurde ihm in seiner Position als Generaldirektor für öffentliche Sicherheit auch nicht mitgeteilt.

Ich habe im Zuge meiner Recherche zuletzt am 30. Juni 2008 eine e-Mail-Anfrage mit folgendem Inhalt an das Innenministerium gerichtet:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
ich arbeite an einer Recherche über jene Brief- und/oder Buchbombenserie, welche im Jahr 1995 (Mai oder Juni) von Österreich aus nach Rumänien ging. Die Empfänger in Rumänien waren Minderheitenvertreter (Roma. Deutsche, Ungarn, u.a. auch Bischof Laszlo Tökes, Symbolfigur der Revolution des Jahres 1989).
Hier einige Fragen an die zuständigen Personen im Innenministerium dazu:
Wurde in dieser Sache ermittelt und wenn ja, von wann bis wann und mit welchen Ergebnissen ?Welche Dienststelle in Österreich wurde mit den Ermittlungen betraut ? Ist seinerzeit ein Rechtshilfeansuchen an Rumänien ergangen und wenn ja, mit welchen Ergebnissen ? Welche Stellen, bzw. welche Personen wurden in Rumänien diesbezüglich kontaktiert ? Gibt es eine Stellungnahme aus Rumänien und wie lautet diese? Wurden die Urheber dieser Anschläge überführt und wenn ja, wer sind sie ? Wurde diese Briefbombenserie auf Zusammenhänge zu den BBA-Attentaten untersucht und wenn ja, in welchem Zeitraum, wie lange und mit welchen Ergebnissen ? Wurde seitens der österreichischen Ermittlungsbehörde Strafanzeige erstattet und wenn ja, mit welcher Aktennummer?"

Ich habe bis dato (2009) keine Antwort vom Innenministerium bekommen. Laufende Ermittlungen ? Mangelnde Informationen ?

Eine gleichlautende Anfrage an das Justizministerium vom 16. Juli 2008 wurde rasch beantwortet:

"Mit Bezug auf Ihre E-Mail-Anfrage vom 16. Juli 2008 kann ich Ihnen als Leiter der u.a. für politische Strafsachen zuständigen Fachabteilung des Bundesministeriums für Justiz mitteilen, dass sich nach den mir vorliegenden Informationen die rumänischen Behörden auf Grund der dortigen Vorfälle insbesondere zum Nachteil des Laszlo TÖKES nicht mit einem Rechtshilfeersuchen an Österreich gewandt haben. Ebenso haben die österreichischen Justizbehörden keinen Anlass gesehen, die rumänischen Seiten zu befassen. Soweit mir in Erinnerung ist, spielte die Versendung von Briefbomben an Minderheitenvertreter in Rumänien bei den Inlandserhebungen zur österreichischen Briefbombenserie - wenn überhaupt - nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ich ersuche um Verständnis, dass es schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, den aus mehreren umfangreichen Aktenreihen bestehenden „Briefbombenkomplex" im Detail durchzusehen, um Ihnen eine abschließende Antwort auf die gestellten Fragen geben zu können.
Ich hoffe, dass ich damit wenigstens einen Teil Ihrer Fragen beantworten konnte, und verbleibe / mit freundlichen Grüßen (Unterschrift)"


(© Bild: Siebenbürgische Zeitung) Bericht über die Buchbombenserie aus Österreich


(© Bild: Ana Maria Ivan)
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